GEGENARGUMENTE

Der Krieg gegen den Irak und seine ideologische Begleitmusik

Trotz aller Verstimmungen zwischen den USA und Europa über die richtige Gangart gegenüber dem Irak sind sich beide Seiten einig, dass das Saddam-Hussein-Regime untragbar ist. Die USA haben seine Entmachtung und Beseitigung beschlossen, Europa war bisher mehr für eine verschärfte Eindämmung und Beaufsichtigung, und ist inzwischen gespalten. Was hat dieser Staat also verbrochen? Einige der Vorwürfe gegen den Irak will ich besprechen, und anschließend auch zwei Positionen, die wahren, positiven Motive der USA betreffend.

Das Feindbild:

Verbrechen Nr. 1: "Besitz von Massenvernichtungswaffen"

Der Irak wird verdächtigt, solche Waffen zu besitzen oder in der Lage zu sein, solche zu produzieren und sie gegebenenfalls auch einsetzen zu wollen. Die Anklage wird am vehementesten von der Nation erhoben, die über das weltweit größte Arsenal an Massenvernichtungswaffen verfügt – und entschlossen ist, diese auch einzusetzen. Neulich hat die Führung dieser Nation, die dem Irak den Besitz von "Massenvernichtungswaffen" vorwirft, erklärt: "Nuklearwaffen spielen eine entscheidende Rolle für die Verteidigungsfähigkeit der USA, ihrer Verbündeten und Freunde" (Nuclear Posture Review 8.1.02). Sie hat bekannt gegeben, eine Generation neuer Atomwaffen zu entwickeln, die sich in einem Krieg wie dem jetzt bevorstehenden gegen den Irak "zielgenau" verwenden lassen. Tony Blair und andere haben den Einsatz von Atomwaffen im bevorstehenden Krieg nicht ausgeschlossen.

Im Fall der USA sind also der Besitz von "Massenvernichtungswaffen" und der Wille, sie einzusetzen, kein Verbrechen. Sondern ganz im Gegenteil deren legitimes Recht: Und wieso? Die Antwort liegt auf der Hand: Weil die USA – im Unterschied zum Irak – logischerweise gar keinen anderen als bloß einen "verantwortungsvollen" Umgang mit "Massenvernichtungswaffen" treiben können. Schließlich widmet sich diese Macht der verantwortungsvollen Aufgabe, die "Interessen Amerikas" und ihrer "Verbündeten" weltweit zu schützen: "Die Streitkräfte der USA, inklusive der Nuklearwaffen, erhalten jetzt die Aufgabe, Gegner von eigenen Aufrüstungsprogrammen oder Militäroperationen abzuhalten, die amerikanische Interessen oder die unserer Verbündeten und Freunde bedrohen könnten" (ebd.). Und diese klassisch imperialistische Aufgabe, jeden "Gegner" bereits von "eigenen Aufrüstungsprogrammen" "abzuhalten", damit solche sich den "Interessen Amerikas" und seiner "Verbündeten" erst gar nicht widersetzen können, ist ohne die Verfügung über "Massenvernichtungswaffen" in der Tat nicht zu haben.

"Uns" – dem Westen – steht das Recht zu, die ganze Staatenwelt mit überlegenen Gewaltmitteln unter Kontrolle zu bringen, damit "unsere Interessen" weltweit den Respekt genießen, den sie verdienen. Wenn man diesen weltherrschaftlichen Standpunkt für das normalste von der Welt hält, dann – aber auch nur dann – verfängt die absurde Unterscheidung, dass "weapon of mass destruction" in den Händen der USA gut, im Besitz von Staaten wie dem Irak dagegen böse, eine einzige "Bedrohung des Weltfriedens" und ein Beweis für das verbrecherische Treiben von Saddam seien: "Menschen ohne Achtung vor dem Leben darf nie erlaubt werden, die ultimativen Werkzeuge des Todes zu kontrollieren" (Bush 11.3.02). Also müssen gute Menschen wie Bush aus "Achtung vor dem Leben" dafür sorgen, dass die "ultimativen Werkzeuge des Todes" endlich den "falschen" Händen weggenommen werden, weil sie nur in den "richtigen" Händen ihr menschenfreundliches Wirken entfalten können. Dass die Durchsetzung dieser Verantwortung die "Massenvernichtung" jeder Menge Iraker einschließt, fällt dann vermutlich unter die "leider" bei "gerechten" Kriegen nicht zu vermeidenden "Kollateralschäden".

Verbrechen 2: "Saddam Hussein drangsaliert sein eigenes Volk"

Dem Hussein-Regime wird zum Vorwurf gemacht, dass es gegen die separatistischen Bestrebungen der Kurden und gegen aufständische Schiiten gewaltsam und blutig vorgegangen ist und das auch weiterhin vorhat. Und zwar von Staaten, die in ihrer Wertegemeinschaft NATO mehrere Partner haben, für die das gewaltsame Niedermachen von "Minderheiten", die für einen eigenen Staat kämpfen, nichts als eine reine Selbstverständlichkeit, nämlich die notwendige und legitime Bekämpfung von "Terroristen" darstellt. So hat die Türkei nicht zuletzt mit Billigung und aktiver Unterstützung der NATO-Partner ihr "Kurden-Problem" einer gewaltsamen "Lösung" zugeführt und Spanien geht mit aller Härte und Unterstützung der Amerikaner und Europäer gegen seine "Terroristen" – gegen baskische Separatisten – vor.

Ein solches Vorgehen gegen ungehorsame Bevölkerungsteile, so selbstverständlich es für jeden Staat ist, es wird einem Saddam natürlich nicht zugestanden. Hier soll man vielmehr die Unterdrückung von Aufständischen als Ausdruck der und Beleg für die abgrundtiefe Bösartigkeit des irakischen Herrschers interpretieren – und Kurden wie Schiiten nicht als "Terroristen" verurteilen, sondern ihnen als "Freiheits-" und "Unabhängigkeitskämpfer" die Daumen drücken. Dabei zeigt sich hier wie auch schon früher am Balkan oder noch früher in Afghanistan und ebenso aktuell etwa in Nepal nur eines: Ob "Terror" oder "legitimer Kampf um Selbstbestimmung" – das ist keine objektive Sachlage, sondern einzig eine Frage der politischen Definition. Ob nämlich die Aufseher über die globalen Menschenrechte einem Staat die blutige Unterdrückung von Separatismus oder Opposition unter dem Gütesiegel "Terrorismusbekämpfung", wie Israel, erlauben oder ob sie ihm diese Lizenz zur inneren Ordnung verweigern – beides folgt ausschließlich ihren Berechnungen gegenüber fremden Souveränen. Eine "uns" genehme Herrschaft darf zur Wahrung ihres staatlichen Zusammenhalts ihre Bevölkerung durchaus terrorisieren. Eine Kritik daran kommt erst auf, wenn eine solche Herrschaft ihre Legitimität verspielt hat, weil sie es an der erforderlichen Dienstbarkeit "uns" gegenüber hat fehlen lassen. Die saudi-arabischen Sitten sind z.B. in letzter Zeit in Verruf gekommen, weil 15 der 19 Selbstmordattentäter vom 11.9. aus diesem Königreich stammen, und die Saudis trotzdem noch die Frechheit besitzen, den USA die verlangte Hilfe für einen Krieg zur Entmachtung Saddam Husseins zu verweigern. Umgekehrt steht bei nicht genehmen Staaten wie dem irakischen von vornherein fest, dass es sich bei deren gewaltsamer Durchsetzung gegen Aufständische oder Separatisten nur um eine verwerfliche Unterdrückung der legitimen Anliegen der Bevölkerung handeln kann.

Verbrechen 3: "Aggressiver Groß- bzw. Regionalmachtanspruch"

Der dritte Vorwurf an den Irak lautet, dass er seine Nachbarstaaten bedroht, weil er sich noch immer zur Vormacht in dieser Region berufen sieht, also schon wieder das anstrebt, was die USA für sich beanspruchen. Diese Anklage ist schon eine Unverfrorenheit der gehobenen Art: Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese "Gefahr" von einem Staat ausgehen soll, der seit mehr als einem Jahrzehnt durch Embargos geschwächt ist, der unter UNO-Aufsicht steht sowie militärisch klein gehalten wird – britische und amerikanische Kampfflugzeuge erhalten einen Krieg auf niedrigem Niveau als Dauerzustand aufrecht –, und der nicht einmal in der Lage ist, sein Gewaltmonopol über sein gesamtes Herrschaftsgebiet auszuüben. Der US-Verteidigungsminister etwa stützt seine Zuversicht auf eine schnelle Erledigung des Irak darauf, dass dessen derzeitiges militärisches Potential im Vergleich zum 1. US-Krieg gegen dieses Land ziemlich matt ausfällt (Süddeutsche Zeitung 16./17.11.02). Die spezielle Unverfrorenheit besteht schon darin, dass die USA und ihre Verbündeten, die für sich die unbedingte Geltung ihrer Interessen und deren Anerkennung weltweit fordern, dass also diese Staaten, die auf dem unbedingten Respekt vor ihrer Vormacht bestehen, dem Irak so etwas wie eigene nationale Interessen und Ambitionen in der von ihnen kontrollierten Nahost-Region einfach nicht zugestehen wollen. Deshalb legen sie ihm eine "ausufernde" Staatsräson zur Last und werfen ihm die "Gefährdung des Weltfriedens" vor.

Die "Großmachtansprüche" von Amerika und Europa gelten heutzutage als so selbstverständlich, dass sie gar nicht erst thematisiert werden müssen, geschweige denn, dass sie als "imperiale Anmaßungen" am Pranger stehen. Sie schließen offensichtlich das "natürliche", womöglich im Fall der USA auch von Gott gegebene Recht ein, über die Ambitionen aller anderen Staaten zu entscheiden, also diese an ihrer Brauchbarkeit für die eigenen Interessen zu messen und entweder zuzulassen oder abzuweisen. Wegen dieser durchgesetzten Hierarchie der Staatenwelt in die Macher und die zu kontrollierenden Objekte der Weltordnung gerät ein Staat wie der Irak ins Visier. Der glaubte doch 1990 tatsächlich, sich mit einem Krieg seine eigene regionale Ordnung schaffen zu können, und hat sich dann trotz seiner Niederlage nicht bedingungslos in die imperialistische Weltordnung ein- und untergeordnet, sondern der versucht angesichts der Kriegsdrohung durch die USA sogar, die Bedingungen seiner Kapitulation zum Gegenstand der Diplomatie mit der UNO zu machen. Ein solcher Staat mit seinem, in der "bösen" Figur Saddam Hussein personifizierten Beharren auf eine eigene, nicht durch Amerikas Gnaden zugelassene Souveränität wird in dieser schönen neuen Weltordnung zu einem einzigen untragbaren Verbrechen – und der irakische Staatschef, der immer noch nicht abtritt und sich nicht freiwillig "unserem" Kriegsverbrechertribunal überstellen will, wo "wir" doch seinen Sturz beschlossen haben, zu einem Skandal. Gegen einen solchen Realitätsverlust hilft nach Auffassung der Weltordnungsmächte nur noch ein Krieg für eine neue regionale Ordnung, um den "Irren aus Bagdad" hinauszubomben.

Fazit: Der Kern der Vorwürfe besteht darin, daß der Irak so sein will, wie die Weltmächte längst sind, die USA allen voran: Besitz von Massenvernichtungswaffen; berechtigt und entschlossen, Gegner oder Aufständische als Terroristen zu bekämpfen; mit dem Anspruch auf regionale Hegemonie. Seine Feinde sind gar keine Gegner all seiner unschönen Ansprüche, sondern bloß Konkurrenten – sie wollen bloß das, was sie dem Irak vorwerfen, exklusiv für sich, oder sie haben es längst.

Kritische gemeinte und andere Ideologien:

Nun will ich noch zwei andere Kriegsgründe besprechen, die in der Öffentlichkeit kursieren, ein mehr kritischer und ein affirmativer: Das Öl und die Demokratie.

Die Sache mit dem Öl:

In einem Aufruf von Kriegsgegnern, u.a. von der Friedenswerkstatt Linz, heißt es exemplarisch für diesen Standpunkt, daß "die tatsächlichen Ursachen für diesen Krieg darin liegen, diese Region politisch zu unterwerfen, damit die großen Erdölkonzerne Zugriff auf den Erdölreichtum dieser Region bekommen."

Da wurde eine Kleinigkeit übersehen: Daß nämlich die großen Erdölkonzerne längst den "Zugriff auf den Erdölreichtum dieser Region" haben. Das Öl dieser Region ist doch längst erschlossen, für seine kommerzielle Verwertung durch die einschlägigen Weltfirmen. Wenn das irakische Öl derzeit nicht problemlos zur Verfügung steht, dann liegt das nicht am Irak, sondern an der anderen Seite, allen voran an den USA. Der Irak würde sein Öl liebend gern frei verkaufen, schon deswegen, weil das die hauptsächliche Art der Benutzung des Öls durch einen Staat wie den Irak ist – soviel Industrie, um das Öl selber als Energieträger zu verfeuern, steht im ganzen Nahen Osten gar nicht herum. Etwas anderes, als es zu verkaufen, kann ein sogenannter Ölstaat damit kaum machen. Das Hindernis für den Zugriff auf das irakische Öl ist aber gar nicht der Irak, sondern der Boykott, den die USA durchgesetzt haben, und der nur begrenzte Ölexporte unter Überwachung der UNO und nur in einer Art Tauschhandel gegen Nahrungsmittel im Rahmen des "food for oil"-Programmes zuläßt. Die sogenannte Ölwaffe, der Ölboykott aus politischen Gründen, wurde zwar von arabischen Nationalisten öfter "angedacht", er ist in der Praxis aber ausschließlich die Waffe der anderen Seite. Seine Gegner wollen den Irak dadurch aushungern und schwächen. In diesem Sinn ist die Vorstellung, es ginge um den "Zugriff der Konzerne auf den Erdölreichtum", schlicht unzutreffend.

Von dieser falschen Kritik, es ginge gar nicht um Terrorismusbekämpfung oder darum, den Irak mit Demokratie zu überziehen, existieren inzwischen zwei Lesarten, eine mehr traditionell "linke", und eine modern "europäische". Das ärgerliche und verkehrte an dem traditionell linken Dogma, hinter Kriegen letztlich ein ökonomisches Motiv dingfest machen zu müssen, besteht darin, daß auf diese Weise die Politik und der Staat aus der Schußlinie geraten, fast verharmlost werden. Ausgerechnet das Gewaltmonopol, die Instanz, die seit jeher ein Kriegsministerium einrichtet, das heute überall Verteidigungsministerium heißt, die Instanz, die mitten im Frieden Streitkräfte unterhält, und Wehrpflichtige oder Berufssoldaten trainiert und ausbildet, die Instanz, die je nach Größe und Reichtum auch Flugzeugträger und Atomwaffen in Dienst nimmt – die würde ihre Waffen eigentlich nur dann und deswegen einsetzen, weil sie von Interessengruppen quasi mißbraucht wird, für ökonomische Ziele quasi zweckentfremdet wird. Man merkt diesen Kriegsgegnern an, daß sie der Agitation der Kriegstreiber ein wenig ausweichen wollen: Wo die Kriegsbefürworter in der Regel mit hohen Werten wie Vaterland, Demokratie und Menschenrechten oder aktuell mit der Bedrohung der ganzen Menschheit durch den Irak werben, da getraut sich eine Kriegsgegnerschaft, die ökonomische Hintergedanken unterstellt, gegen diese hohen Werte offenbar auch nicht aufzutreten oder findet sie womöglich selber gut – also "muß" man notgedrungen hinter den edlen Werten andere, niedrige Beweggründe dingfest machen, um sich nicht in die Front der Befürworter des Krieges einreihen zu müssen. Und das geht erstens eigentlich immer schief und wirkt u.U. nur mehr komisch – der Zugriff auf das Öl scheitert eben nicht an Saddam Hussein, und am Balkan gab es schon gleich ökonomisch nichts zu holen, dementsprechend gewunden und absurd waren die entsprechenden Konstruktionen – und das zeichnet zweitens eben das erwähnte verkehrte Bild von den staatlichen Gewaltmonopolisten, die im Grunde genommen und von sich aus dem Frieden verpflichtet wären, und die ihre Streitkräfte, ihre Armeen und Flugzeuge nur wegen des fragwürdigen, unzulässigen Einflusses von ökonomischen Interessen zum Einsatz bringen würden.

Dagegen will ich einmal die Behauptung bekräftigen, daß "Imperialismus" ein Verhältnis zwischen Staaten ist, daß die Staaten die Subjekte des Krieges sind, daß die Staaten für ihre Interessen Krieg führen und daß das nicht nur vordergründig so aussieht. Wenn das Öl eine Rolle spielt, in dieser Auseinandersetzung, dann eine ganz andere, wesentlich umfassender angelegt. Es geht um den Status des Irak als sogenannter "Ölstaat". Bisher war es so, daß nach der Entkolonialisierung im Nahen Osten die neu gegründeten Staaten als die Eigentümer ihrer Rohstoffe anerkannt waren, die deswegen auch einen Anteil am Ölpreis beanspruchen durften, ziemlich egal, ob sie die Ölförderung staatlich betreiben und die geförderten Mengen selber verkaufen, oder ob sie Lizenzgebühren oder Zölle für Ölforderung und Ölexport einheben. Am Fall des Irak halten die USA inzwischen das bisherige Zugeständnis für nicht mehr vertretbar, daß so ein Staat tatsächlich souverän über die Mittel aus dem Ölgeschäft verfügt, d.h. sie für seine nationalen Interessen verwendet und für sonst nichts, darunter auch für Waffen. Das war zwar in Ordnung, als dieser Staat zB mit westlicher Unterstützung und mit westlichen Waffen, die er mit dem Erlös des Ölgeschäfts bezahlte, Krieg gegen den Iran geführt hat. Man erinnert sich: damals hatte gerade eine "islamische Revolution" den dortigen Verbündeten der USA, einen gewissen Rezah Pachlevi, von Beruf "Shah", vertrieben. Saddam Hussein sah seine Chance, zettelte einen Krieg an, und kalkulierte zumindest teilweise richtig. Er wurde zwar unterstützt, mit Qualitätsprodukten auch aus renommierten europäischen Waffenschmieden, aber den totalen Sieg und die Niederlage der Mullahs im Iran gestand ihm der Westen doch nicht zu, die beiden Regionalmächte durften sich wechselseitig blutig dezimieren; gesteuert von westlichen Waffenlieferungen und Satelliteninformationen. Als sich der Irak dann eine Belohnung für seinen anti-iranischen Krieg holen wollte, und eine gewaltsame "Wiedervereinigung" mit dem Scheichtum Kuwait durchzog, war der Bogen überspannt, und darüber, daß der Irak den folgenden Krieg und seine Niederlage überstand, avancierte Saddam Hussein zum bevorzugten Bösewicht: Sein Verbrechen ist der Anti-Amerikanismus, das Bestehen darauf, kein Satellit und kein Vasall sein zu wollen und sich gegen die USA behaupten zu wollen. Spätestens dadurch orten die USA einen eklatanten nationalistischen Mißbrauch der Einnahmen, die diesem Staat zugeflossen sind, bloß weil "unser" Öl zufällig auch unter seinem Boden lagert. Die Pläne für die Zeit nach dem Krieg, soweit bekannt, sprechen Bände: Es geht nicht um einen bloßen "Regimewechsel" im Sinn von "Regierungswechsel", im Sinn davon, daß der Anführer ins Exil gehen soll und ausgewechselt wird. Es geht um ein komplette Neuausrichtung des Irak während einer längeren Übergangszeit unter einer US-amerikanischen Militärdiktatur, wobei die künftigen Öleinnahmen des Irak zur Deckung der Kriegskosten verwendet werden sollen, quasi für Reparationen. Ein künftiger irakischer Staat, wie groß er sein und wie beschaffen er sein mag, hat jedenfalls die Kontrolle über das Öl und über die Einkünfte daraus schon verloren! Vor diesem anspruchsvollen Standpunkt der politischen Kontrolle des Ölgeschäfts durch die USA ist übrigens auch Saudi-Arabien nicht mehr das, was es einmal war. Zwar hat dieser Staat seine Ölvorkommen und seine Förder-Politik im Rahmen der OPEC immer unter Berücksichtigung der konjunkturellen und strategischen Bedürfnisse der USA gehandhabt; aber daß dieser Staat überhaupt Einfluß auf und Einkommen aus dem Ölgeschäft hat, wird seit dem 11. September 2001 in der US-Öffentlichkeit zunehmend gegen ihn verwendet: Immerhin stammt die Mehrheit der Attentäter aus Saudi-Arabien, und immerhin leistet sich auch dieser Staat noch eine nationale Räson, die einen islamischen Klerus einschließt, der gegen westliche Werte Propaganda macht oder zumindest gemacht hat. Und das aus den Einnahmen für "unser" Öl!

Die andere Lesart des Einwandes, es gehe "um Öl", ist inzwischen eine europäisch-nationalistische, die eines konkurrierenden Euro-Imperialismus. Die USA betreiben ihren Anti-Terror-Krieg und ihren Angriff auf den Irak erstens völlig eigenständig und eigenmächtig nach ausschließlich eigenem Gutdünken, es gibt nichts zu verhandeln nichts mitzubestimmen – aber Zustimmung, Unterordnung und auch militärische Hilfsdienste werden schon verlangt, nicht nur im Rahmen der UNO und des Sicherheitsrates. Einige europäische Staaten interpretieren das völlig zurecht als Angriff auf ihre eigenen Ambitionen, den Nahen und Mittleren Osten mit zu gestalten, und über Krieg und den Frieden mit zu bestimmen. Der höhere Sinn der europäischen Einigung besteht ja gerade darin, mehr Gewicht gegenüber dem Rest der Welt geltend machen zu können, und genau dagegen richtet sich – auch – die Neuordnung der Gegend durch die USA. Wenn die Kritik, es ginge den USA bloß um Öl, also in Europa auch außerhalb der üblichen Verdächtigen geäußert wird, zB von so honorigen Leuten wie dem FPÖ-Volksanwalt Stadler im "profil", dann handelt es sich um den euro-imperialistischen Antiamerikanismus, der den USA die Legitimation für den Angriff auf den Irak bestreiten will, nicht weil er prinzipiell was gegen Krieg hat – man erinnere sich an die europäische Kriegshetze gegen Jugoslawien, wo Europa vorneweg eine kriegerische Neuordnung des Balkan angezettelt hat –, sondern weil der Krieg gegen den Irak einer ist, der von den USA völlig auf eine Rechnung und zum eigenen Nutzen betrieben wird, von dem Europa also nicht profitiert, sondern der Europa in der Konkurrenz der Imperialisten sogar schadet. Eine erste Form dieses Schadens liegt inzwischen offen auf dem Tisch: Es ist dies die Spaltung der europäischen Staaten in der Kriegsfrage.

Die Sache mit der Demokratie: Im Kreuzzug für die eigenen Interessen heiligt der Zweck die Mittel

Der "profil"-Journalist Hoffmann-Ostenhof diskutiert in der Nummer 2/03 einen anderen Kriegsgrund, dem er durchaus aufgeschlossen, um nicht zu sagen sympathisierend gegenübersteht. Er schreibt:

"Die Erfahrungen des 11. September und nicht zuletzt die Tatsache, daß der al-Qaida-Terrorismus letztlich von Saudi-Arabien, dem besten arabischen Freund der USA, ausgeht, haben ein Umdenken gebracht. ... in Washington setzt sich die Erkenntnis durch, daß die Wurzeln des islamischen Terrorismus im Mangel an Demokratie in diesen Ländern liegen. ... Bush selbst versichert, daß man im Post-Saddam-Irak alles dazu tun werde, demokratische Verhältnisse zu etablieren, ja aus dem Zweistromland eine Modelldemokratie für die ganze Region zu machen. ... dann wäre der Irak-Krieg der erste Schritt im Versuch, eine große demokratische Umwälzung im gesamten arabischen Raum herbeizuführen. Gewiß: Unter dem Vorwand, Freiheit und Demokratie zu bringen, sind schon viele Schweinereien passiert. ... Man muß, bei allen Bedenken, dann, wenn der Krieg losgeht, auf einen schnellen Sieg der USA hoffen. Und darauf drängen, daß ihre Demokratie- und Freiheitssprüche nicht bloße Rhetorik bleiben."

Wir nehmen zur Kenntnis: Die Demokratie ist in den Augen mancher ihrer Anhänger das, was angeblich der Islam in den Augen seiner Gläubigen ist, nämlich eine heilige Sache, die es wert ist, mit Feuer und Schwert gegen alle verbreitet zu werden, die ihr noch nicht anhängen. Es verhält sich so, wie bei den Elementen des Feindbildes, die ich am Beginn besprochen habe: Wenn der Gegner dasselbe macht wie die eigene Seite, dann ist es ein Verbrechen. Der Islam gilt ja manchmal als "aggressive" Religion, die es nötig habe, mit Gewalt – eben mit "Feuer und Schwert" – verbreitet zu werden. (Ich will mich dazu übrigens nicht äußern, der Islam ist heute nicht das Thema.) Jedenfalls diskreditiert beim Islam das Mittel den Zweck: Wenn diese Religion auf Gewalt angewiesen ist oder dies zumindest ins Auge faßt, dann spricht das gegen sie. Wenn umgekehrt die Demokratie mit Feuer und Schwert und Massenvernichtungswaffen im arabischen Raum verbreitet werden soll, dann heiligt in dem Fall der Zweck die Mittel, zumindest in den Augen demokratischer Fundamentalisten, dann spricht es nicht gegen die Demokratie, daß sie auf die Überzeugungskraft solcher Instrumente angewiesen ist, sondern gegen ihre Opfer.

Dabei enthält die Referierung des US-Standpunktes durch Hoffmann-Ostenhof durchaus noch den letzten Bezugspunkt der heiligen Demokratie: Es ist schlicht und brutal das US-Interesse. "Demokratie" steht hier für hemmungslosen Pro-Amerikanismus, für politische Verhältnisse mit eingebauter Unterordnung unter die USA, Verhältnisse, die Distanz und Gegnerschaft zu den USA einfach nicht zulassen sollen. Bush hat bei anderer Gelegenheit auch die Zustände in Afghanistan und Palästina als künftige demokratische Vorbilder für den arabischen Raum gepriesen. Mag sein, daß die Erinnerung an die Einführung der Demokratie im besiegten Deutschland diese Verständnis von Demokratie trägt. Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, daß im Moment gerade das seinerzeit mit Demokratie beglückte Deutschland sein nationales Interesse in der Kriegsfrage anderes definiert. Es war eben auch gar nicht die Einführung dieser Staatsform, sondern der nationale Wiederaufstieg im Rahmen der Weltordnung des Kalten Krieges, der Deutschland zum zuverlässigen Verbündeten der USA gemacht hat, zu einem Verbündeten, der nun keinen nationalen Nutzen mehr in der Unterordnung unter die USA sieht.